10.08.2022 | Die Herausforderungen beim Bau der grössten alpinen Solaranlage

Sonnenernte auf 2500 Metern

Die Muttsee-Staumauer des Schweizer Pumpspeicherwerks Limmern in den Glarner Alpen ist seit ihrer Eröffnung 2016 die höchstgelegene in ganz Europa. Hier kommt ein weiterer Rekord obendrauf: 2500 Meter über dem Meeresspiegel entsteht ein fast ein Kilometer breites Solarkraftwerk mit 2,2 Megawatt Leistung auf der Staumauer des Hydrokraftwerks. Eine technische und logistische Herausforderung für mehr Winterstrom.

Solarenergie als Lieferant für Winterstrom – das klingt nicht nur charmant, es bringt auch handfeste Vorteile: Die hohe Lage in den Alpen sichert deutlich mehr direkte Einstrahlung, weil Nebel- oder Wolkenschichten den Sonnenschein seltener behindern. Der sogenannte Albedo-Effekt, also die Rückspiegelung des Lichts vom Boden, steigert die Stromausbeute noch einmal deutlich. Die steilere Neigung der Module begünstigt einen effektiveren Einfallswinkel. Hinzu kommt, dass die Stauseemauer bereits zweckmässig nach Südsüdost und Südsüdwest ausgerichtet ist. Aufgrund der natürlichen Kühlung und Hinterlüftung wird der Wirkungsgrad der Module weiter erhöht.

Die höchsten Erträge der Anlage werden in den Wintermonaten Februar und März erwartet, insgesamt aber wird die Leistung über das gesamte Jahr relativ ausgeglichen sein – auch das ganz im Gegensatz zu konventionellen Dachanlagen im Schweizer Mittelland. (Zum Potenzial von alpinen Solaranlagen)

Abbildung: Alpine Anlagen liefern während der Wintermonate einen deutlich höheren Stromanteil als Solaranlagen im Mittelland. Quelle: ZHAW

Staumauer unter Beobachtung

Bereits bei der Fertigstellung der oberen Seestufe des Pumpspeicherwerks Limmern hatte man deren Potenzial für Sonnenstrom erkannt. In den ersten fünf Jahren musste die Staumauer jedoch zunächst intensiv beobachtet werden, erst danach konnten die Planungen für ein Solarkraftwerk forciert werden. (Mehr zum Pumpspeicherwerk Limmern)

In einem dreistufigen Verfahren von der Gemeinde über den Kanton bis zum Bund genehmigten die Schweizer Behörden das Projekt und im Januar 2021 verkündete die Energieversorgerin Axpo zusammen mit IWB schliesslich offiziell, das Pionierprojekt AlpinSolar umsetzen zu wollen. Die Basler Energieversorgerin beteiligt sich mit 49 Prozent. Zudem werden die Hochschule EPFL in Lausanne und das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos das Projekt wissenschaftlich begleiten, um Strahlungs- und Ertragsmessungen aus den Bergen noch detaillierter zu ermitteln.

Nach den mehrjährigen Planungen ging es im Sommer 2021 mit dem Bau los.

Risikofaktor Alpenwetter

«Das Wetter in den Alpen ist schwer vorhersagbar; es gab Tage, an denen nicht gearbeitet werden konnte», sagt Christian Heierli, Projektleiter AlpinSolar bei Axpo.

Denn das Klima in 2500 Meter Höhe ist rau und wechselhaft. Vor allem Schneelasten müssen selbst in den Sommermonaten mitgedacht werden. «Aufwendige Windmessungen mussten wir aber nicht eigenständig erheben, da es in der Nähe der Staumauer zwei aktive Wetterstationen gibt. Diese Wetterdaten konnten wir zusammen mit den Prognosen für die zu erwartenden Niederschläge bereits nutzen, um die Installation in einem Modell zu simulieren und eine wichtige Einschränkung von vornherein zu planen», meint Heierli. Die unteren fünf Meter der Mauer blieben somit für potenzielle Schneeablagerungen frei.

Zwei wichtige Männer hinter dem Projekt AlpinSolar

Christian Heierli, Projektleiter AlpinSolar bei Axpo
Claudius Bösiger, Geschäftsführer von Planeco

Bifaziale Glas-Glas-Module

Selbstverständlich müssen auch die verwendeten Solarmodule dem Schnee trotzen können. Deshalb wurden gezielt 4872 bifaziale Glas-Glas-Module des Schweizer Herstellers Megasol installiert. Ihr breiter Rahmen von 40 Millimetern erfüllt die Auflagen an die zu erwartende Schneelast. In Modulbereichen, in denen die höchste Last erwartet wird, wurden deshalb zentral von hinten an einem Punkt zusätzlich gestützt. Nur so hält das Glas stand und biegt sich nicht zu weit durch.

Um die zur Verfügung stehende Fläche möglichst optimal zu nutzen, verwendet Megasol zwei verschieden grosse Modultypen mit 460 Watt beziehungsweise 385 Watt Leistung. «Wir bereiteten diese auf 14,5 Meter breiten Modultischen für die Platzierung an der Staumauer vor. Das heisst, - wir kreierten ein marktübliches Einlegesystem für Module, das in dieser Grössenordnung nie zuvor gebaut wurde», weiss Claudius Bösiger, Geschäftsführer von Planeco. Die Tochtergesellschaft von IWB ist Generalauftragnehmer des Projekts.
Die vertikale Primärunterkonstruktion besteht aus Stahlfachwerken, aber die Werkzeuge für die Aluminiumprofile mussten eigens für AlpinSolar angefertigt werden.

Arbeiten nur bei Flugwetter möglich

Auf einzelnen Modulen kann der Schnee relativ schnell abrutschen, da sie im steilen Winkel von 51 Grad beziehungsweise sogar 65 Grad geneigt sind. Der Schnee muss und kann bei solchen Mengen nicht aufwendig manuell entfernt werden. Ein höherer Schneerückstau von unten als die in der Simulation bereits berücksichtigten fünf Meter bis zum Boden ist jedoch nicht wahrscheinlich.

«Logistisch war der Bau ein beinahe wagemutiges Unterfangen: Denn das Wärterhaus der Hydroanlage Limmern ist zwar das ganze Jahr durchgehend erreichbar, doch gibt es keine Strasse, die für den An- und Abtransport von Material und Personal genutzt werden konnte. Die komplette Baustelle musste mit einem Transporthelikopter beliefert werden. Das war einerseits anspruchsvoll, aber vor allem teuer», betont Claudius Bösiger.

Ein benötigter Hebekran wurde beispielsweise unten im Tal erst zerlegt, dann in Einzelteilen hochgeflogen und oben auf der Mauer wieder neu montiert. Die vorkonfektionierten und bereits verkabelten Modultische wurden vom Kran in die Mauer gehoben und nur noch fixiert. Gebaut werden durfte ohnehin nur bei Flugwetter für die Helikopter, um nicht nur alle Materialien sicher transportieren, sondern auch mögliche Verletzte gefahrlos ausfliegen zu können. Immerhin kann der zwangsläufig grössere CO₂-Fussabdruck, der durch den Einsatz des Helikopters entstand, innerhalb von drei Monaten Anlagenbetrieb wieder ausgeglichen werden.

Ein benötigter Hebekran wurde unten im Tal erst zerlegt, dann in Einzelteilen hochgeflogen und oben auf der Mauer wieder neu montiert.

Wartungsarbeiten an der Mauer gewährleisten

Auch nach erfolgreicher Inbetriebnahme bleibt AlpinSolar ein Projekt mit speziellen Herausforderungen: Die Muttsee-Staumauer lässt es zwar zu, dass die Solaranlage auf stabilem Untergrund errichtet wurde. Doch verlangt die Sicherheit einer Talsperre auch weiterhin eine kontinuierliche visuelle Sicherheitsüberprüfung. «Mindestens alle fünf Jahre wird ein Risskataster erstellt. Die Mauer muss für Techniker gut erreichbar sein, auch für Notfälle wie bei einem Erdbeben. Aus diesem Grund wurden die Solarmodule mit einem Abstand von 1,5 Metern zur Mauer gebaut», erklärt Christian Heierli die Situation. 

Querschnitt durch die Mauer mit Angaben zur Unterkonstruktion

Um die Solaranlage ihrerseits für Wartungsarbeiten zugänglich zu halten, entstand im oberen Bereich zwischen den Modulen und der Staumauer ein Wartungsgang mit Geländer. Das neu installierte Solarkraftwerk wurde 900 Meter entfernt von der Technikzentrale in einem Kraftwerkstollen angeschlossen.

Erstes PPA-Projekt in der Schweiz

Mit Denner, der grössten Discounterkette der Schweiz, wurde ein langfristiger Stromabnahmevertrag (PPA: Power Purchase Agreement) abgeschlossen.

Dabei handelt es sich um das erste PPA für eine grosse Solaranlage in der Schweiz überhaupt. Da in den nächsten Jahrzehnten die Schweizer Kernkraftwerke schrittweise vom Netz gehen, muss die CO₂-neutrale Stromerzeugung über Ausschreibungen für Solaranlagen auf der Freifläche forciert werden (zu den sieben Gründen für den Bau von Freiflächenanlagen). Wenn die Schweizer Politik ihre eigenen Klimaziele ernst nimmt und erreichen möchte, muss sie zügig nachjustieren und die Rahmenbedingungen für den Bau von Solar-Grossanlagen verbessern. 

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