16.05.2018 | Die Windkraft in der Schweiz hat es schwer

Blowin' in the Wind

In den nächsten 30 Jahren soll in der Schweiz der Anteil von Windenergie am Strommix von heute 0,2 Prozent auf über 7 Prozent steigen. Das will die Energiestrategie 2050. Und: Die meisten Schweizer finden ein Windrad als Nachbar ok. Das zeigt eine Umfrage von Tamedia. Doch im konkreten Fall scheitern viele Projekte am lokalen Widerstand. 

Die Windbranche ist in Europa gut entwickelt. Gemäss WindEurope können derzeit 10,4 Prozent des europäischen Stromverbrauchs aus Windkraft gedeckt werden (Stand 2016). Davon stammen 1,5 Prozent aus Offshore-Anlagen. Dänemark hat in Europa in Sachen Strom aus Windkraft die Nase vorne (siehe Grafik). Insgesamt elf Länder decken heute bereits über 10 Prozent ihres Strombedarfs mit Windenergie.  

In der Schweiz gibt es 37 Windkraftanlagen. Der grösste Windkraftpark mit 16 Windturbinen (Gesamtleistung 37,2 MW) steht im Berner Jura auf dem Mont Croisin. Die Standorte der übrigen Anlagen findet man hier. Sie produzieren im Durchschnitt rund 140 GWh Strom, was rund 0,2 Prozent des Stromverbrauchs in der Schweiz (Stand 2016) oder dem Bedarf von rund 30‘000 Haushalten entspricht. Zum Vergleich: In den an die Schweiz grenzenden deutschen Bundesländern standen gemäss Angaben von Suisse Eole Ende 2016 folgende Anzahl Windenergieanlagen in Betrieb: 

  • Baden-Württemberg: 563 Windenergieanlagen (Fläche 15 % kleiner als die Schweiz)
  • Bayern: 1061 Windenergieanlagen (Fläche 70 % grösser als die Schweiz)
  • Rheinland-Pfalz: 1612 Windenergieanlagen (Fläche 50 % kleiner als die Schweiz)
Ausbau-Strategie

Entsprechend nennt die «Luzerner Zeitung» die Schweiz beim Thema Windenergie ein «Entwicklungsland». Doch das soll sich nun gemäss den Plänen des Bundesrates ändern. Die von den Stimmberechtigten im Mai 2017 mit einem Ja-Anteil von 58 Prozent gutgeheissene Energiestrategie 2050 rechnet mit einer starken Entwicklung der Windenergie in der Schweiz. So sollen bis zum Jahr  2020 Windenergieanlagen rund 600 GWh Strom pro Jahr produzieren. Bis 2050 müssen es gemäss Rechnung des Bundesamtes für Energie (BFE) rund 4‘000 GWh sein. Das entspräche rund 7 Prozent des aktuellen Stromverbrauchs von 58‘000 GWh (Stand 2016).

Konkret heisst das: Die Schweizerinnen und Schweizer werden sich an den Anblick von Windturbinen gewöhnen müssen. Denn um diese Leistung erzeugen zu können, müssten bis 2050 800 bis 900 Windkraftanlagen gebaut werden, was rund 120 Windparks mit 5 bis 10 Anlagen entspricht. Geeignete Standorte zur Nutzung des Windes befinden sich  gemäss BFE  auf den Jurahöhen, aber auch in den Alpen und Voralpen und im westlichen Mittelland. Aktuell sind gemäss Suisse Eole 69 Projekte mit total 390 Turbinen und einer Nennleistung von 1099 MW in Planung.

Hier kann man sehen, wo in der Schweiz der Wind wie stark weht. Mehr Infos gibt es hier

Grundsätzlich ja…

Die Abstimmung zur Energiestrategie 2050 und eine repräsentative Nachbefragungen der Tamedia zeigen, die Schweizerinnen und Schweizer stehen grundsätzlich positiv zur Windenergie. Selbst auf die Frage «Würden Sie ein Windrad in Sichtbereich ihres Wohnortes akzeptieren», antworten 64 Prozent mit Ja. Bei jenen, welche ein Ja zur ES 2050 in die Urne gelegt habe, sind es sogar 87 Prozent.

Entsprechend müsste der Bau neuer Windräder in der Schweiz also boomen. Doch das ist nicht der Fall, obschon die Kantone mit ihren Richtplänen weit fortgeschritten sind, welche den Bau von Windturbinen an gewissen Standorten grundsätzlich möglich macht. Einzig am Griespass wurden letztes Jahr drei neue Windkraftanlagen ans Netz angeschlossen und auf der Gotthardpasshöhe soll möglicherweise noch 2018 mit dem Bau von fünf Windturbinen begonnen werden. Sonst herrscht aber bei den meisten Projekten Treten an Ort, wenn nicht bereits zum Rückzug geblasen wurde.     

…aber nicht bei mir

Denn – trotz breiter Zustimmung zur Windenergie – geht es um konkrete Projekte, regt sich oft lokaler Widerstand. So musste die CKW etwa ihr Projekt für einen Windpark in Kulmerau-Kirchlerau aufgrund von Widerstand in der Bevölkerung derart abändern, dass am Schluss dessen Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben war und der Windpark nicht gebaut wurde.

So hätte der Windpark Kirchlerau-Kulmerau ausgesehen (Modellbild CKW)

Oft reiche eine einzige erfolgreiche Einsprache gegen ein Projekt, um es zu verhindern, bilanziert denn auch Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Die Stiftung ist zwar nicht per se gegen Windkraft, lehnt den Bau von Windparks in unberührten Landschaften aber ab und hält die vom Bund skizzierten Ausbauszenarien für unrealistisch. «Die Schweiz ist kein Windenergieland», betont Rodewald.

Die Windkraft in der Schweiz werde nie den Stellenwert wie in Dänemark oder Deutschland haben, heisst es bei Suisse Eole. Dennoch glaubt die Vereinigung zur Förderung der Windenergie, die Windkraft habe in der Schweiz eine Chance – insbesondere in den Wintermonaten, wo es hierzulande stärker windet, sei Windstrom eine wichtige Ergänzung zur Wasserkraft und damit unverzichtbar. Reto Rigassi, Geschäftsführer Suisse Eole meint: «Der Ausbau ist eine Frage des Willens».  

Der Nimby-Effekt

Doch mit dem Wollen tut man sich in der Schweiz schwer. Beim Projekt Windpark Lindenberg von CKW, AEW und SIG, setzt man zwar auf einen breiten Mitwirkungs- und Mitspracheprozess der lokalen Bevölkerung. Doch bereits gibt es dezidierten Widerstand vom Verein Pro Lindenberg, wie die «Luzerner Zeitung» schreibt: «Wir wollen nicht die Windenergie bekämpfen, sondern den Lindenberg schützen», argumentiert man seitens des Vereins und droht bereits heute damit all rechtlichen Mittel auszuschöpfen.

Informationsveranstaltung zum Windpark Lindenberg: Transparenz und Mitwirkung der Bevölkerung sind wichtig. (Bild: AEW)

Widerstand gegen Infrastrukturprojekte – nicht nur im Energiebereich – haben heute System. «Die reiche Schweiz ist heute eine Hochburg lokalen Widerstands, was heute gern mit föderalistischen Traditionen erklärt wird», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» dazu. Kleine, gut organisierte Gruppen oder Umweltschutzverbände wenden sich mit dem Argument «Not in my backyard (Nimby)» gegen Anliegen, die von Mehrheiten unterstützt werden.

Ob sich deshalb die Windkraft in der Schweiz wie vom Bund gewünscht entwickeln wird und nach dem Abschalten der Schweizer Kernkraftwerke einen wesentlichen Beitrag zur sicheren Stromversorgung hierzulande leisten kann, ist ungewiss. Oder, um es mit Bob Dylan zu sagen: The answer is blowin‘ in the wind!

Das leistet Windkraft

In der Schweiz haben typische Windkraftanlagen heute eine Nennleistung von 3 MW. Damit kann an einem Standort mit durchschnittlichem Wind jährlich knapp 6 GWh Strom produziert werden. Das entspricht dem Verbrauch von rund 1'700 Haushalten (bei einem Durchschnittsverbrauch von 3500 kWh). Eine Windenergieanlage kann durchschnittlich während 60 bis 75 Prozent der Zeit Strom erzeugen. Drei Windgeschwindigkeiten sind zu unterscheiden:

  • Einschaltgeschwindigkeit: 2 bis 4 Meter/pro Sekunde (m/s), keine Stromproduktion
  • Nominalgeschwindigkeit: Ca. 12 m/s, dann erreicht die Windkraftanlage ihre maximale Leistung
  • Abschaltgeschwindigkeit: Um Schäden wegen heftigen Winden zu vermeiden, wird die Anlage bei starken Winden abgeschaltet. Je nach Anlage passiert dies bei Windgeschwindigkeiten zwischen 28 m/s und 35 m/s (90 km/h).

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